Atemrhythmus und Emotionen
Der wissenschaftliche Review von Homma & Masaoka (2008) untersucht die Rolle des Atemrhythmus, insbesondere die Rolle des Zwerchfells, bei der Bewältigung von Emotionen und Stress. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse werden mit praktischen Übungen kombiniert, die uns helfen können, diese Art von Breathwork in unseren Alltag zu integrieren.
In a nutshell: Die Wissenschaft der Atmung und Emotionsregulation
- Die Atmung dient nicht nur dazu, unseren Körper am Leben zu erhalten, sie ist auch eng mit unseren Gefühlen verbunden. Während der Hirnstamm die Atmung reguliert, um das Gleichgewicht im Körper aufrechtzuerhalten, können emotionale Zustände wie Traurigkeit, Glück, Angst oder Furcht die Art und Weise beeinflussen, wie wir atmen.
- Dies geschieht durch Wechselwirkungen zwischen grundlegenden Hirnstrukturen (wie dem Hirnstamm) und höheren Hirnbereichen, einschließlich des limbischen Systems (Emotionszentrum) und des Kortex (Denkzentrum).
- Die Forschung zeigt, dass unser Atemrhythmus und emotionale Reaktionen miteinander verbunden sind. Wenn wir diese Verbindung verstehen, können wir selbst im Alltag erforschen, wie sich die Atmung sowohl auf unsere Physiologie als auch auf unser emotionales Wohlbefinden auswirkt.
1. Atmung und Nervensystem
Die Atmung hat einen direkten Einfluss auf das autonome Nervensystem (ANS), das unwillkürliche Körperfunktionen wie Herzschlag und Verdauung steuert. Das ANS besteht aus zwei Hauptsträngen:
- Sympathisches Nervensystem (SNS): Verantwortlich für die „Kampf-oder-Flucht-Reaktion“ bei Stress, die zu schnellem Herzschlag und flacher Atmung führt.
- Parasympathisches Nervensystem (PNS): Steuert den „Ruhe- und Verdauungszustand“, verlangsamt die Herzfrequenz und fördert die Entspannung.
Unsere Atmung dient als Bindeglied zwischen diesen Systemen. Durch bewusste Veränderung der Atemmuster kann man von einem Stresszustand (SNS-Dominanz) in einen Ruhezustand (PNS-Aktivierung) wechseln. Dieser Wechsel wird durch den Vagusnerv vermittelt, der vom Gehirn zu wichtigen Organen wie Herz und Lunge verläuft.
2. Die Rolle des Zwerchfells bei der Atmung
Das Zwerchfell, ein kuppelförmiger Muskel am Boden der Lunge, ist der wichtigste Muskel für die Atmung. Wenn er richtig arbeitet, sorgt er für einen optimalen Sauerstoffaustausch und reguliert Stressreaktionen. So funktioniert unsere Atmung:
Mechanik der Atmung:
- Beim Einatmen zieht sich das Zwerchfell zusammen und bewegt sich nach unten, wodurch sich die Lungenflügel ausdehnen und Luft angesaugt wird.
- Beim Ausatmen entspannt sich das Zwerchfell und bewegt sich nach oben, wodurch die Luft aus der Lunge ausgestoßen wird.
Wirkung auf das Nervensystem:
- Die tiefe Zwerchfellatmung aktiviert den Vagusnerv, fördert die parasympathische Aktivität und senkt die Herzfrequenz.
- Sie erhöht die Herzfrequenzvariabilität (HRV), ein Indikator für Stressresistenz.
Ausgleich von Sauerstoff und Kohlendioxid:
- Bei tiefer Atmung werden die unteren Teile der Lunge, die die höchste Sauerstoffaustauschkapazität haben, vollständig genutzt.
- Bei richtiger Ausatmung wird Kohlendioxid abgeatmet, wodurch der pH-Wert des Blutes aufrechterhalten und Stresssymptome reduziert werden.
3. Das Zwerchfell und die Emotionsregulation
Der Atemrhythmus hat einen direkten Einfluss auf die Gehirnaktivität und die Emotionsregulation:
- Amygdala: Das emotionsverarbeitende Zentrum im Gehirn reagiert auf die Atmung. Eine schnelle, flache Atmung sendet Notsignale, während eine tiefe, rhythmische Atmung die Amygdala beruhigt und Angst und Furcht reduziert.
- Präfrontaler Kortex: Eine kontrollierte Atmung erhöht die Aktivität im präfrontalen Kortex, was rationales Denken und emotionale Kontrolle verbessert.
4. Atmung und Stresshormone
Die Bewegung des Zwerchfells bei tiefer Atmung hat auch Auswirkungen auf das endokrine System:
Die Kortisolregulation:
- Kortisol ist das wichtigste Stresshormon, das während der SNS-Aktivierung von den Nebennieren ausgeschüttet wird.
- Eine tiefe Atmung senkt den Kortisolspiegel, indem sie die SNS-Aktivität reduziert und die Aktivierung des Vagusnervs erhöht, was zu einer physiologischen Verschiebung in Richtung Entspannung führt.
Ausschüttung von Oxytocin:
- Eine tiefe Atmung kann indirekt den Oxytocinspiegel erhöhen, das „Bindungshormon“, das Gefühle von Sicherheit und Verbundenheit fördert.
Praktische Atemtechniken für den Alltag
1. Zwerchfellatmung (tiefe „Bauchatmung“)
- Übung: Setze oder lege dich bequem hin. Eine Hand auf die Brust, die andere auf den Bauch legen. Atme tief durch die Nase ein und achte darauf, dass sich der Bauch mehr hebt als der Brustkorb. Mit zusammengepressten Lippen langsam ausatmen.
- Wirkung: Maximiert die Sauerstoffaufnahme, senkt die Herzfrequenz und fördert die Entspannung.
2. Boxatmung
- Übung: 4 Sekunden einatmen, 4 Sekunden halten, 4 Sekunden ausatmen und wieder 4 Sekunden halten (gedanklich kannst du an einer qudratischen Box „entlang atmen“).
- Wirkung: Beruhigt den Geist, baut Stress ab und verbessert die Konzentration.
3. 4-7-8 Atmung
- Übung: 4 Sekunden einatmen, 7 Sekunden die Luft anhalten und 8 Sekunden ausatmen.
- Vorteile: Fördert Entspannung und besseren Schlaf.
4. Wechselnde Nasenatmung (Nadi Shodhana)
- Übung: Das rechte Nasenloch schließen und durch das linke Nasenloch einatmen. Das linke Nasenloch schließen und durch das rechte Nasenloch ausatmen. Wechsle die Nasenlöcher einige Male.
- Wirkung: Wirkt ausgleichend auf das Nervensystem und fördert die geistige Klarheit.
Take-Aways
- Das Zwerchfell dient als Brücke zwischen Körper und Gehirn und ermöglicht uns, Stress und Emotionen bewusst zu regulieren.
- Eine tiefe, kontrollierte Atmung verbessert den Sauerstoffaustausch, stimuliert den Vagusnerv und gleicht Stresshormone aus.
- Atemtechniken lassen sich leicht in den Alltag integrieren, um die emotionale Regulierung und das Wohlbefinden zu fördern.
Quelle: Homma, I., & Masaoka, Y. (2008). Breathing rhythms and emotions. Experimental physiology, 93(9), 1011-1021.