Andere Bewusstseinszustände durch den verbundenen Atem
No drugs, just breath. Die Forschung ist eindeutig: Für veränderte Bewusstseinszustände brauchen wir keine Drogen. Bestimmte Breathwork-Methoden haben den gleichen Effekt – zeigt eine kürzlich erschienene Studie von Havenith et al. (2025).
In a nutshell
- Breathwork kann psychedelische Erfahrungen imitieren – auf natürliche Weise. Techniken wie die zirkuläre Atmung können zu starken veränderten Bewusstseinszuständen führen, die denen ähneln, die durch den Konsum von Psychedelika hervorgerufen werden – jedoch ohne den Einsatz von Substanzen.
- Dieser Mechanismus ist messbar und biologisch. Diese Zustände entstehen durch Veränderungen des Kohlendioxidspiegels, der Gehirnaktivität und der Regulierung des Nervensystems. Dies zeigt eine klare Verbindung zwischen gezielter Atmung und Bewusstseinsveränderung.
- Die Vorteile gehen über die einzelne Sitzung hinaus. Die Teilnehmenden erleben auch noch Tage nach einer einzigen Sitzung dauerhafte Stimmungsverbesserungen, geringere Ängste und größere emotionale Klarheit.
Breathwork: Ein einfacher Zugang mit tiefgreifender Wirkung
Der Atem ist etwas, das wir alle gemeinsam haben: Er ist automatisch, allgegenwärtig und in den meisten Fällen völlig unbewusst. Wenn wir jedoch die bewusste Kontrolle über den Atem übernehmen, insbesondere durch strukturierte Praktiken wie die zirkuläre Atmung („circular breathwork“, im Deutschen auch „verbundener Atem“ genannt), können wir mächtige psychologische und physiologische Zustände erreichen.
Seit Jahrhunderten nutzen Kulturen auf der ganzen Welt den Atem als Tor zur Transformation – sei es im yogischen Pranayama, im Sufi-Wirbeln, in schamanischen Ritualen oder in modernen therapeutischen Settings.
In den letzten Jahren hat Breathwork auch in der Wissenschaft an Bedeutung gewonnen. Forscher versuchen zu verstehen, wie und warum bestimmte Atemmuster veränderte Bewusstseinszustände (englisch: Altered States of Consciousness, ASC) auslösen können – intensive Erfahrungen, die das Bewusstsein, die Emotionen und die Selbstwahrnehmung verändern.
Die Studie: Der Atem als Weg zu anderen Bewusstseinszuständen
In einer kürzlich in Communications Psychology (Nature Portfolio, 2025) veröffentlichten Studie wurde untersucht, wie zirkuläre Atemarbeit veränderte Bewusstseinszustände (ASCs) hervorruft.
Die Forscher verglichen zwei Arten von zirkulärer Breathwork – holotropes und bewusstes verbundenes Atmen – um festzustellen, ob die physiologischen Veränderungen, die während dieser Praktiken auftreten, für die psychologischen Erfahrungen verantwortlich sind, von denen die Teilnehmenden berichteten.
In der Studie wurde die Menge an Kohlendioxid (CO2), die die Teilnehmer während der Atemübungen ausatmeten, gemessen (unter Verwendung eines Maßes, das als endtidales CO2 oder etCO2 bezeichnet wird). Ein zentrales Ergebnis war der starke Zusammenhang zwischen verringertem etCO2 (verursacht durch kontrollierte Hyperventilation) und der Intensität der veränderten Zustände, die die Teilnehmer erlebten.
Kurz gesagt: Je mehr CO2 die Teilnehmer ausatmeten, desto tiefer war der veränderte Zustand.
Was passiert im Körper während dieser Breathwork-Praxis?
Schauen wir uns an, was genau passiert, wenn wir die Atemtechnik der zirkulären Atmung anwenden:
- Hyperventilation: Bei der Zirkularatmung wird schneller und tiefer geatmet, wodurch der CO2-Gehalt im Blut sinkt.
- Respiratorische Alkalose: Durch den CO2-Abfall verschiebt sich der pH-Wert des Körpers in den alkalischen Bereich. Dies ist ein vorübergehender Zustand, der sich jedoch darauf auswirkt, wie die Neuronen feuern und wie das Blut im Gehirn fließt.
- Default Mode Netzwork (DMN): Das DMN ist ein Gehirnsystem, das mit Selbstgesprächen, Ich-Identität und Tagträumen in Verbindung gebracht wird. Es wird ruhiger. Diese Unterdrückung wird mit der sogenannten „Ego-Auflösung“ in Verbindung gebracht, die sich durch das Gefühl äußert, eins mit dem Universum zu werden oder das gewohnte Selbstgefühl zu transzendieren.
Psychologische Ergebnisse: Jenseits des Atems
Einer der überzeugendsten Aspekte dieser Studie war die Dokumentation der Vorteile der Atemarbeit für die psychische Gesundheit. Die Teilnehmenden hatten nicht nur subjektiv eindrückliche Erfahrungen während der Sitzungen, sondern berichteten auch von messbaren Verbesserungen der Stimmung und des Wohlbefindens im Anschluss daran.
Zu den wichtigsten psychologischen Auswirkungen gehören:
- Verringerte depressive Symptome
- Geringere Angst und emotionale Reaktivität.
- Erhöhte positive Stimmung, Selbstwertgefühl und emotionale Klarheit.
Diese Veränderungen waren nicht nur vorübergehend. Viele Teilnehmende berichteten noch eine Woche nach der Sitzung von anhaltenden Vorteilen. Dies deutet darauf hin, dass zirkuläre Breathwork wie ein emotionaler „Reset“ wirken könnte, indem sie Stress, Trauer oder Spannungen in einer einzigen intensiven Erfahrung beseitigt und den Menschen dabei hilft, sich anschließend wieder mit sich selbst zu verbinden.
Erwähnenswert ist, dass die Studienteilnehmenden sicher und unterstützend durch den Prozess geführt wurden. Wie bei vielen kraftvollen Praktiken kommt es auf den Kontext an. Der Atem allein ist kraftvoll, doch gepaart mit Absicht, Sicherheit und Reflexion kann er transformierend wirken.
Breathwork und Psychedelika im Vergleich: Zwei Wege, ein Ziel?
Das vielleicht faszinierendste Ergebnis dieser Studie ist die Ähnlichkeit der durch Breathwork hervorgerufenen Zustände mit denen von Psychedelika wie Psilocybin (Magic Mushrooms) oder LSD. Die Teilnehmenden erzielten hohe Werte auf Skalen, die mystische Erfahrungen bewerten. Dazu zählen beispielsweise der Fragebogen zu mystischen Erfahrungen (MEQ-30) und das 11D-ASC, ein Standardinstrument zur Messung veränderter Zustände.
Diese Skalen bewerten Qualitäten wie:
- ein Gefühl der Einheit oder Verbundenheit,
- Gefühle von Heiligkeit oder Transzendenz
- tiefe emotionale Durchbrüche und Selbsterkenntnis.
- Zeitverzerrung, visuelle Phänomene und Auflösung des Egos.
Tatsächlich war die Intensität dieser Erfahrungen in klinischen Studien mit der durch mäßige bis hohe Dosen von Psychedelika ausgelösten vergleichbar – insbesondere in Bereichen wie „ozeanische Grenzenlosigkeit“ (eine Art spirituelle Ekstase und Ego-Verlust).
Aber das Beste daran? Breathwork ist legal, erfordert keine Einnahme von Substanzen und ist nicht mit dem gleichen kulturellen Ballast oder den gleichen rechtlichen Hürden verbunden wie psychedelische Substanzen. Daraus ergeben sich spannende Möglichkeiten:
- Könnte Atemarbeit eine sicherere und leichter zugängliche Alternative zur psychedelischen Therapie sein?
- Könnte sie in die Psychotherapie bei Traumata, Depressionen oder Angstzuständen integriert werden?
- Könnten geschulte Betreuer Atemarbeit in Rückzugsräumen zur persönlichen Transformation einsetzen, ohne dass die medizinische Komplexität der Verabreichung von Psychedelika besteht?
Natürlich ist Breathwork kein Allheilmittel und wirkt auch nicht bei jedem Menschen auf die gleiche Weise. Die Überschneidungen in den subjektiven und therapeutischen Ergebnissen zwischen Breathwork und Psychedelika sind jedoch zu überzeugend, um sie zu ignorieren.
Drei Take-Aways
- Zirkuläre Atmung kann zuverlässig starke veränderte Bewusstseinszustände hervorrufen, die physiologisch durch CO₂-Reduktion ausgelöst werden und psychologisch wirksam sind.
- Diese durch Breathwork induzierten Zustände ähneln stark psychedelischen Erfahrungen, einschließlich der Auflösung des Egos, emotionaler Durchbrüche und eines Gefühls der Einheit. Der Vorteil dabei ist, dass sie drogenfrei und zugänglich sind.
- Die Teilnehmenden berichteten von nachhaltigen Verbesserungen der Stimmung, des Selbstwertgefühls und des emotionalen Wohlbefindens. Dies positioniert die zirkuläre Atmung als vielversprechendes nicht-pharmakologisches Instrument für die Zukunft der psychischen Gesundheit und der Erforschung des Bewusstseins.
Quelle: Havenith, M. N., Leidenberger, M., Brasanac, J., Corvacho, M., Carmo Figueiredo, I., Schwarz, L., … & Jungaberle, A. (2025). Decreased CO2 saturation during circular breathwork supports emergence of altered states of consciousness. Communications Psychology, 3(1), 59.
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